Göttingen, Januar 2021: Nach über 25 Jahren als Gründer an der Spitze von CONTIGO, verabschiedet sich Ingo Herbst in den wohlverdienten Ruhestand. Er hat die Basis für unsere heutige Arbeit geschaffen und mit seinen Ideen und Impulsen die Professionalisierung des Fairen Handels vorangetrieben.
Das Ruder übernehmen ab sofort seine Frau Monika, Tochter Greta und natürlich weiterhin Ralph Wüstefeld. Unser neues Leitungs-Trio vereint nicht nur eine langjährige Erfahrung und Verbundenheit mit CONTIGO, sondern ergänzt sich in ihren Schwerpunkten:
Als Frau der ersten Stunde und Mitbegründerin von CONTIGO übernahm Monika Herbst schon von Anfang an die Beziehungspflege zu unseren Handelspartnern und den internationalen Einkauf. Seit einigen Jahren ist sie unsere Fairtrade Managerin. Sie kennt den Ursprung und die Menschen, überwacht unsere Handelsbeziehungen, die Regeln des Fairen Handels und dokumentiert sie.
Auch Greta Herbst ist seit Beginn mit CONTIGO verbunden. Sie verantwortet seit über 10 Jahren, nach einem sehr erfolgreichen Diplomstudium, unsere gesamte Sortiments- und Produktentwicklung, den CONTIGO Markenauftritt, sowie das Erscheinungsbild. Durch ihre zahlreichen Reisen kennt sie die Menschen in unseren Partnerwerkstätten persönlich und hat umfangreiche Kenntnisse von den Prozessen vor Ort
Schon seit über 10 Jahren ist Ralph Wüstefeld in unserer Geschäftsführung. Als Mann der Zahlen, guter Koordinator und Organisator und als Diplom Kaufmann bleibt er unser Garant für ein sicheres Fahrwasser.
Auch wenn nicht mehr aktiv im Tagesgeschäft, steht Ingo Herbst mit seiner Erfahrung im Fairen Handel, als Visionär und Ratgeber allen Interessierten weiterhin zur Verfügung.
Ingo Herbst, Gründer von CONTIGO Die neue Geschäftsführung ab 2021: Greta Herbst, Ralph Wüstefeld und Monika Herbst
Veränderung beginnt mit dem Mut zum ersten Schritt
Ingo Herbst erinnert sich an sein faires Vierteljahrhundert und spricht über seine Wünsche für die Zukunft
„Wenn ich an meine Anfänge im Fairen Handel zurückdenke, ist immer die Frage, wo fange ich an? Wann fing es überhaupt an? Der Faire Handel hieß damals noch gar nicht so. Wir sagten zuerst „Gerechter Handel“, „Alternativer Handel“ und dann schon etwas bescheidener „Dritte-Welt-Handel“. Später hieß es dann „Eine-Welt-Handel“ und dann ab den 90er Jahren „Fairer Handel“. Wo und wann fing es bei mir an: Im Mittelamerika-Komitee? In den Anti-Apartheid-Gruppen? 1976 im Göttinger „Dritte-Welt-Laden? In meiner Zeit in Afrika, wo ich mit meiner Frau und meinen Kindern über 15 Länder besuchte?
Nach Afrika gab es dann Nägel mit Köpfen. Ich wurde Geschäftsführer der Mutter des Fairen Handels, der GEPA. Da war ich mitten drin – in einer kleinen verschworenen Szene von 500 „Dritte-Welt-Läden“, die sich als Bewegung verstand. Und wie es immer in kleinen Nischen ist, gab es massenweise Uneinigkeit über den richtigen Weg und die Prioritäten. Die Einen wollten endlich eine Registrierkasse kaufen, damit im Ladenalltag die Verkäufe nicht mehr mit dem Bleistift aufgeschrieben und abends per Hand zusammengerechnet werden mussten. Die Anderen wollten einen Kopierer zur Unterstützung ihrer Bildungsarbeit. Und so musste ich als Geschäftsführer der GEPA über viele Kilometer zum Schlichten kommen.
So bin ich groß geworden in der Welt der Offenen Briefe (Twitter und Facebook gab es damals noch nicht), der Gremien und Versammlungen. Ich saß in den Gründungsgremien der WFTO (World Fairtrade Organization) und von TransFair (heute Fairtrade). Ich glaube, ich habe nie zuvor in so vielen Sitzungen und Ausschüssen gesessen. Und – Gott sei Dank – auch später nicht mehr.
Dann irgendwann platzte mein innerer Knoten. Es musste doch einen Weg geben, für die benachteiligten Menschen in Übersee zuverlässig mehr Einkommen zu schaffen, um ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern. Für mich war klar, dass die damalige, eng umrissene Nische dafür nicht ausreichend war.
Ich wollte die Türen zur Gesellschaft aufstoßen, Luft und Wind reinlassen und ganz neue Zielgruppen finden. Das hieß: Ich wollte den Fairen Handel unternehmerisch und professionell aufbauen, mit bezahlten Vollzeit-Engagierten, Läden in der Mitte der Städte, gut präsentiert, hell und modern. Das hieß aber auch: Überschüsse zu erzielen und vor allem Wachstum und viel Kreativität.
Anfangs, in 1994, wurden wir von der Szene argwöhnisch beobachtet: „Der Ingo Herbst kommerzialisiert die Idee des Fairen Handels“, hieß es. Ich kann mich noch erinnern… „ Aber Herr Herbst, es ist ja alles bei CONTIGO sehr schön und einladend, aber, gell; seien sie ehrlich, Sie machen doch Gewinn, oder?“
Aber das war schon bald vorbei. Und CONTIGO wurde nicht nur zu einem wichtigen Lieferanten der Weltläden, sondern ist bis heute der einzige Fairhandelsimporteur mit über 25 eigenen, professionellen Läden.
Ich bin jetzt am Ende meines Arbeitslebens angekommen und schätze mich sehr glücklich, dass ich mein „Baby“ in engagierte und geübte Hände abgeben kann, die CONTIGO von der Pike auf kennen.
Aber ich habe für die Zukunft eine Reihe von dringenden Wünschen:
Die Szene des Fairen Handels möge sich weiter und konsequent zum Markt hin öffnen. Die „Bewegung“ war gestern. Wir brauchen den Fairen Handel als professionelle Branche, die sich dem Wettbewerb mit Discountern und mit normalen Leder-, Textil-, und Geschenkeläden stellt.
Die Lieferketten bei Anderen zu kritisieren und Veränderungen einzufordern ist gut, richtig und notwendig. Aber der Faire Handel muss sich auch aktiv um die eigenen Lieferketten kümmern. Professionalität, Umsätze und vor allem Volumen sind gefragt. Wie man es dreht und wendet: Die Kleinproduzenten in Übersee, die ohne uns keinen Marktzugang haben, leben von der erfolgreichen Vermarktung ihrer Erzeugnisse hier in Europa. Sie arbeiten nicht ehrenamtlich und in ihrer Freizeit. Sie kämpfen täglich um ihre Existenz. Von Corona ganz zu schweigen.
Das sollten wir uns im Fairen Handel immer vor Augen führen.“
Januar 2021 – Ingo Herbst